Mehrheit ist nicht gleich Mehrheit – wann reicht es für die finanzielle Eingliederung?
BFH: Eine einfache Stimmrechtsmehrheit der Organträgerin reicht nicht in jeder Konstellation aus
Prima facie erscheinen die Voraussetzungen der ertragsteuerlichen Organschaft relativ einfach: Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrags der (Mutter-)Gesellschaft mit ihrer Tochtergesellschaft, an der sie mehrheitlich beteiligt ist. Auch dieses zuletzt genannte Kriterium – im Fachjargon „finanzielle Eingliederung“ genannt – bereitet immer wieder Probleme, wie der Bundesfinanzhof in einer aktuellen Entscheidung vom 09.08.2023 – I R 50/20 eindrücklich aufzeigt.
Sinn und Zweck der ertragsteuerlichen Organschaft
Der Vorteil einer ertragsteuerlichen Organschaft liegt in der steuerlichen Behandlung einer Unternehmensgruppe als wirtschaftliche Einheit. Die Organschaft ermöglicht eine zeitnahe Verlustverrechnung zwischen dem sog. Organträger (= Muttergesellschaft) und der Organgesellschaft (Tochter), was insbesondere bei mittelständischen Unternehmensgruppen und Konzernstrukturen von Bedeutung ist. Durch die Zusammenfassung der steuerlichen Ergebnisse können beispielsweise Verluste einer Organgesellschaft unmittelbar mit den Gewinnen des Organträgers verrechnet werden, was zu einer sofortigen steuerlichen Entlastung führen kann.
Voraussetzungen der Organschaft
Wie eingangs erwähnt, ist zum einen der Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags (GAV) erforderlich, der zivilrechtlich wirksam sein muss und für mindestens fünf Jahre abgeschlossen sowie tatsächlich durchgeführt werden muss.
Des Weiteren muss eine finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft in den Organträger vorliegen. Sie erfordert, dass der Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres an ununterbrochen in einem solchen Maße beteiligt ist, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht. Bei der Beurteilung der finanziellen Eingliederung ist auf die gesellschaftsrechtlichen Regelungen abzustellen, die grundsätzlich eine einfache Mehrheit der Stimmrechte als ausreichend ansehen.
Aber wie sieht es aus, wenn die Satzung besondere Mehrheitserfordernisse vorsieht?
Finanzielle Eingliederung bei qualifizierten Mehrheitserfordernissen
In dem aktuellen vom BFH entschiedenen Fall sah der Gesellschaftsvertrag der Organgesellschaft für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung generell, d. h. umfassend, eine qualifizierte Mehrheit von 91 % der anwesenden Stimmen vor. Die Organträgerin verfügte zwar über eine komfortable Mehrheit von 79,8 % der Anteile an der Organgesellschaft. Aber dennoch erreichte sie nicht die erforderliche qualifizierte Mehrheit, um ihren Willen in der Gesellschafterversammlung durchsetzen zu können.
Der BFH bestätigte in seinem Urteil vom 09.08.2023 die Entscheidung der Vorinstanz, dass in einer solchen Konstellation eine ertragsteuerliche Organschaft – mangels finanzieller Eingliederung – nicht vorliegt. Die finanzielle Eingliederung erfordere, dass der Organträger über die qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte verfüge, wenn die Satzung der Organgesellschaft für Beschlüsse generell eine qualifizierte Mehrheit vorsehe. Daher bestehe im Streitfall keine körperschaftsteuerliche Organschaft zwischen den beiden klagenden Gesellschaften für die betroffenen Streitjahre.
Als Begründung für die Entscheidung wird angeführt, der Gesetzgeber habe bewusst auf die Mehrheit der Stimmrechte und nicht auf die Mehrheit der Anteile abgestellt. Bei dem Kriterium der finanziellen Eingliederung gehe es um eine kapitalmäßige Verflechtung zwischen Organträger und Organgesellschaft, die den Organträger in die Lage versetze, tatsächlich das Geschehen in der Organgesellschaft zu bestimmen.
Praxishinweis
Unklar bleibt auch nach der Entscheidung, ob die finanzielle Eingliederung gegeben ist, wenn die Satzung eine qualifizierte Mehrheit der Stimmrechte nur für ausgewählte Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu bestimmten Rechtsgeschäften vorsieht. Satzungsmäßig qualifizierte Mehrheitserfordernisse für außerordentliche Beschlüsse (z. B. Satzungsänderungen oder Umwandlungen) dürften für die Bestimmung der erforderlichen Mehrheit jedenfalls nicht von Bedeutung sein. (Organ)Gesellschaften, die in ihrer Satzung – zumindest für bestimmte Beschlüsse – besondere Mehrheitserfordernisse vorsehen, sollten die Satzung jedenfalls einer Analyse unterziehen.