Finanzverwaltung äußert sich zur erbschaft-/schenkungsteuerlichen Optionsfalle
Einheitlicher Ländererlass wendet BFH-Urteil vom 26.07.2022 an und enthält Vertrauensschutzregelungen für Altfälle
Ausgangspunkt: BFH-Urteil vom 26.07.2022 zur „Optionsfalle“
Bei der Schenkung von begünstigtem Unternehmensvermögen kann anstelle der sog. Regelverschonung (Befreiung 85 %) die sog. Options- oder Vollverschonung (Befreiung 100 %) beantragt werden, wenn die (Netto-)Verwaltungsvermögensquote des Unternehmens max. 20 % beträgt. Werden gleichzeitig mehrere betriebliche Einheiten geschenkt (z. B. zwei Kommanditanteile), war bis zum BFH-Urteil vom 26.07.2022 streitig, ob für alle Einheiten nur ein einheitlicher Optionsantrag (so die Auffassung der Finanzverwaltung) oder für jede Einheit ein gesonderter Antrag gestellt werden kann. Im Urteil vom 26.07.2022 zu einer Schenkung im Jahr 2010 hat der BFH sich für die gesonderte Antragstellung ausgesprochen. Er hat aber zugleich jegliche Verschonung für den Fall abgelehnt, dass die Optionsverschonung beantragt wird, die Voraussetzungen hierfür aber nicht erfüllt sind (sog. „Optionsfalle“, siehe dazu auch Newsletter von November 2022).
Wie wendet die Finanzverwaltung das Urteil an?
Im bundesweit abgestimmten Ländererlass vom 22.12.2023 hat sich die Finanzverwaltung dazu wie folgt geäußert:
- Das BFH-Urteil vom 26.07.2022 ist grundsätzlich in allen offenen Fällen anzuwenden. Bei der einheitlichen Schenkung mehrerer betrieblicher Einheiten kann ein Optionsantrag somit für jede Einheit gesondert gestellt werden. Dies setzt natürlich eine vorherige gesonderte Ermittlung der Verwaltungsvermögensquote voraus. Bei zwei Einheiten mit unterschiedlichen Quoten (> 20 % und < 20 % ) können somit Regel- und Optionsverschonung nebeneinander zur Anwendung kommen.
- Wird allerdings ein Optionsantrag für eine Einheit gestellt, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorliegen (z. B. Verwaltungsvermögensquote > 20 %), entfällt jegliche Verschonung. Damit ist auch die „Optionsfalle“ künftig zu beachten. Da die Finanzverwaltung bislang bei einheitlicher Antragstellung in bestimmten Fällen eine günstigere Auffassung vertreten hat („Rückfall“ in die Regelverschonung), kann aus Vertrauensschutzgründen noch wie bisher verfahren werden, wenn der Optionsantrag vor dem 25.01.2024 gestellt wurde.
- Die BFH-Rechtsprechung gilt für Erwerbe von Todes wegen (Erbfälle) entsprechend und ist auch auf die aktuelle Rechtslage ab 2016 anzuwenden.
- Bei Prüfung der sog. Großerwerbsschwelle (26 Mio. EUR) ist das begünstigte Vermögen mehrerer wirtschaftlicher Einheiten zusammenzurechnen. Wird die Großerwerbsschwelle überschritten, kann der Erwerber den Antrag auf Anwendung des sog. Abschmelzmodells (§ 13c Abs. 1 ErbStG) oder den Antrag auf Anwendung des sog. Erlassmodells mit Verschonungsbedarfsprüfung (§ 28a ErbStG) nur einheitlich für alle wirtschaftlichen Einheiten stellen.
- Konsequenterweise ist auch die Einhaltung der Mindestlohnsumme für jede wirtschaftliche Einheit separat zu prüfen. Dies hat die Finanzverwaltung bereits bisher so gehandhabt, in einem zweiten Schritt allerdings die Mindestlohnsummen aller Einheiten addiert. Auf diese Weise konnte eine zu niedrige Lohnsumme einer Einheit mit einer über dem Mindestbetrag liegenden Lohnsumme einer anderen Einheit ausgeglichen werden. Die Zusammenrechnung der Mindestlohnsummen entfällt nun und damit auch die Kompensationsmöglichkeit. In Schenkungs-/Erbfällen vor dem 25.01.2024 kann aus Vertrauensschutzgründen aber wie bisher verfahren werden.
- Ein Nebeneinander von Regel- und Optionsverschonung hat auch Auswirkungen auf die maßgebende Dauer der Behalte- und der Lohnsummenfristen (5/7 Jahre) wie auch auf die Durchführung der Nachversteuerung bei einem etwaigen Verstoß.
Praxishinweis
Wegen der Unwiderruflichkeit eines etwaigen Optionsantrags galt bereits bisher die Empfehlung, einen solchen Antrag möglichst lange hinauszuzögern, um eine möglichst sichere Datenlage als Grundlage für die Entscheidung zu haben. Verfahrensrechtlich ist eine Antragstellung bis zur materiellen Bestandskraft des Erbschaft-/Schenkungsteuerbescheids möglich, d. h. so lange der Bescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung steht oder mit einem Einspruch angefochten ist. Die Möglichkeit einer gesonderten Antragstellung für jede wirtschaftliche Einheit bringt zwar eine gewisse Erleichterung. Gleichwohl kann bei einer verfrühten Antragstellung die „Optionsfalle“ zuschnappen, die eine volle Steuerpflicht der betreffenden Einheit zur Folge hätte. Die Empfehlung, einen etwaigen Optionsantrag möglichst spät zu stellen, gilt daher noch stärker als bisher. Gleichzeitig sollten die entsprechenden Erbschaft-/Schenkungsteuerbescheide (möglichst im Wege des Einspruchs) offengehalten werden.
Wie aus Kreisen der Finanzverwaltung zu erfahren war, wird der Ländererlass dort wohl nicht zeitnah umgesetzt werden können: Fälle mit mehreren wirtschaftlichen Einheiten und mindestens einem aktuellen Optionsantrag werden in den Erbschaftsteuer-Finanzämtern vielmehr zurückgestellt, bis die programmtechnische Anpassung erfolgt ist.