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Umsatzsteuer: Bildungsleistungen - BMF-Schreiben ordnet Live-Unterricht, Aufzeichnungen und Kombi-Angebote neu

Live/Hybrid kann steuerfrei sein - Aufzeichnungen bleiben regelmäßig steuerpflichtig

Mit Schreiben vom 08.08.2025 präzisiert das BMF die umsatzsteuerliche Behandlung digitaler Bildungsangebote: Live-Streams sind keine elektronischen Dienstleistungen, können damit prinzipiell steuerfrei sein. Vorproduzierte bzw. abrufbare Aufzeichnungen bleiben hingegen elektronische Dienstleistungen und damit regelmäßig nicht steuerfrei. Zugleich verzichtet das BMF auf die zuvor umstrittene Typisierung als „einheitliche Leistung eigener Art“ bei Kombi-Modellen und verweist wieder auf die allgemeinen Grundsätze der Einheitlichkeitsprüfung.


1. Bisherige Sichtweise der Verwaltung

Seit dem 01.07.2024 war - gemäß eines Schreibens vom 29.04.2024 - maßgeblich, ob Inhalte vorproduziert oder interaktiv live erbracht wurden. Aufzeichnungen, Plattformkurse oder Apps galten als elektronische Dienstleistungen und waren von Steuerbefreiungen für Bildungsleistungen regelmäßig ausgeschlossen. Heftige Kritik betraf vor allem die Behandlung von Kombi-Angeboten (Live + Aufzeichnung), für die das BMF teils eine einheitliche, insgesamt steuerpflichtige Leistung annahm bzw. eine starre Aufspaltung nach Entgelt empfahl. Diese materiell zweifelhaften Passagen wurden nun ersatzlos gestrichen.


2. Neues BMF-Schreiben vom 08.08.2025 – Kernaussagen

Live-Streams gelten nicht als elektronische Dienstleistungen im umsatzsteuerlichen Sinne – anders Aufzeichnungen (zeitversetzter Abruf), die für die Umsatzsteuer als elektronische Dienstleistungen anzusehen sind. Einschlägige Steuerbefreiungen (insbesondere § 4 Nr. 21 oder Nr. 22 UStG) kommen typischerweise für Live-/Hybrid-Unterricht in Betracht; bloße Aufzeichnungen sind regelmäßig ausgeschlossen und somit steuerpflichtig.


Zudem verweist das BMF bei Leistungskombinationen ausdrücklich auf die allgemeine Einheitlichkeitsprüfung. Ob eine einheitliche Leistung oder mehrere selbständige Leistungen vorliegen, richtet sich nach dem Wesen des Umsatzes aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers, nicht nach einer schematischen Entgeltbetrachtung. Das bringt Flexibilität zurück, allerdings in beide Richtungen, denn die Finanzverwaltung kann je nach Ausgestaltung auch weiterhin zur Steuerpflicht gelangen. Schaltet ein Portal die Leistungen durch, ist das Vorliegen einer Dienstleistungskommission zu prüfen (d. h. der Portalbetreiber ist ggf. in die umsatzsteuerliche Leistungskette eingebunden); dabei müssen Befreiungs-/Ermäßigungsmerkmale entlang der Kette auf jeder Stufe untersucht werden.


Anwendung: Das Schreiben gilt in allen offenen Fällen.


Übergangsfrist: Bis 31.12.2025 ist eine Berufung auf das vorhergehende Schreiben vom 29.04.2024 möglich – einschließlich der damit verbundenen Vorsteuerfolgen. Ab 01.01.2026 ist die neue Linie allgemein anzuwenden.


3. Exkurs: Fernunterrichtsgesetz (FernUSG) – zivilrechtliche Wirksamkeit mit umsatzsteuerlicher Auswirkung

Der Bundesgerichtshof (also das höchste Zivilgericht) hat mit Urteil v. 12.06.2025 – III ZR 109/24 Online-Coaching ohne Zulassung durch die sog. ZFU (Zentralstelle für Fernunterricht) als nichtig eingestuft – mit Rückzahlungsansprüchen des Teilnehmers. Der Senat bejaht eine weite Auslegung der „entgeltlichen Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten“ und stellt klar, dass das FernUSG auch bei Leistungen an Unternehmer und nicht lediglich bei Leistungen an (Privat-)Verbraucher anwendbar ist. Bereits abrufbare Aufzeichnungen der Onlineveranstaltung können die für die Anwendung des FernUSG geforderte räumliche Trennung i. S. d. Gesetzes begründen; eine ebenfalls notwendige Lernerfolgskontrolle kann bereits durch eingeräumte Rückfragemöglichkeiten vorliegen.


Umsatzsteuerlich relevant ist dies u. a., weil bei tatbestandlichem Fernunterricht die ZFU regelmäßig die zuständige Behörde für die notwendige Bescheinigung für die Steuerbefreiung ist (nach § 4 Nr. 21 UstG) – fehlende Zulassung gefährdet daher nicht nur die zivilrechtliche Wirksamkeit, sondern mittelbar auch die umsatzsteuerliche Begünstigung.


4. Praxisfolgen

Angebotsdesign & Dokumentation

Bildungsanbieter sollten Live- und Interaktionsanteile gezielt stärken und nachweisbar dokumentieren (Teilnahme-Logs, Chat-/Q&A-Protokolle), wenn sie die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21/22 UStG anstreben. Aufzeichnungen sind separat zu gestalten – technisch, vertraglich und abrechnungstechnisch –, weil sie regelmäßig nicht begünstigt sind. Bei Kombi-Modellen ist die Einheitlichkeitsprüfung konsequent am Leistungsbild auszurichten; das Ergebnis kann sowohl eine einheitliche Live-Unterrichtsleistung (mit Steuerbefreiung) als auch eine aufgespaltene Leistung sein, in der die Aufzeichnung steuerpflichtig bleibt.


Bei ausländischen Teilnehmern – Bestimmung des Leistungsorts

Für Live-Streams an Nichtunternehmer gelten die Leistungen als beim inländischen Anbieter erbracht, sprich deutsche Umsatzsteuer fällt an; für Aufzeichnungen bestimmt sich der Leistungsort nach der Ansässigkeit des jeweiligen Teilnehmers, d. h. durch dieselbe Veranstaltung kann Umsatzsteuer verschiedener Staaten ausgelöst werden (ggf. Nutzung des sog. One-Stop-Shops (OSS) zur einfacheren Administration).

Das erfordert eine stringente Abbildung im ERP/Rechnungswesen, ggf. mit OSS-Anbindung für elektronische Dienstleistungen. In Rechnungen sollten Live-Unterricht und Aufzeichnungen klar bezeichnet und – falls getrennte Leistungen – getrennt ausgewiesen werden. Bei Portalen ist das Vorliegen einer Dienstleistungskommission zu prüfen; Befreiungsmerkmale müssen entlang der Kette belastbar nachgewiesen werden. Wir verweisen auch auf unseren Newsletter zu Beginn dieses Jahres, den Sie hier finden.


FernUSG-Compliance

Anbieter mit asynchronen Formaten sollten prüfen, ob Fernunterricht i. S. d. FernUSG vorliegt. Ist eine ZFU-Zulassung erforderlich, sind Verträge und Kommunikationsmaterialien entsprechend anzupassen; fehlt die Zulassung, drohen Nichtigkeit, Rückabwicklung und mittelbar umsatzsteuerliche Risiken (z. B. Verlust/Versagung der steuerlichen Begünstigung mangels Bescheinigung).


Übergangsmanagement & Vorsteuer

Bis 31.12.2025 ist eine Berufung auf das alte BMF-Schreiben möglich; das kann Vorsteuerpositionen stützen. Zum 01.01.2026 sind Prozesse, Produktbündel und Vertragswerke auf die neue Linie umzustellen. Unternehmen, die bislang aus einer (gewollten) Steuerpflicht Vorsteuer gezogen haben, müssen ggf. Vorsteuerkorrekturen und etwaige Anpassungen einkalkulieren.


Dieser Überblick ersetzt keine Einzelfallberatung. Für konkrete Kurs- und Vertragsmodelle empfehlen wir eine Prüfung Ihrer Angebote zur umsatzsteuerlichen Einordnung und Prozessabbildung. Sprechen Sie uns gerne an.

Dr. Christian Merkel

Steuerberater

E-Mail:
christian.merkel@falk-co.de


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